Mehr Arbeit, mehr Bildung, weniger Armut: Die Europäische Kommission definiert soziale Ziele für 2030
Autor: Wolf Krämer
Am 4. März 2021 hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt. An dieser Säule orientiert sich seit 2017 die Sozial- und Beschäftigungspolitik der Europäischen Union. Als gemeinsame Deklaration des Europäischen Parlamentes, des Rates und der Kommission wurde die Säule am 17. November 2017 auf dem Sozialgipfel von Göteborg verabschiedet. Seitdem hat insbesondere die Europäische Kommission ihr Handeln im Bereich der Sozialpolitik nach den 20 Prinzipien der Säule ausgerichtet. Ergebnisse waren unter anderem die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die grundlegende Überarbeitung der Entsenderichtlinie und die Einrichtung einer europäischen Arbeitsbehörde, die die Zusammenarbeit bei der Verhinderung grenzüberschreitender Rechtsverstöße im Zusammenhang mit EU-Arbeitsrecht erleichtern soll.
Bei der weiteren Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte sieht die Kommission nun die Mitgliedstaaten am Zug – schließlich sind diese laut EU-Verträgen in erster Linie selbst für die Ausgestaltung ihrer Sozialpolitik zuständig. Statt neuer Maßnahmen enthält der Aktionsplan konkrete, messbare soziale Ziele, die bis 2030 erreicht werden sollen. Dies sind im Einzelnen:
1. Mindestens 78 % der 20- bis 64-Jährigen sollten einer Beschäftigung nachgehen.
Die angestrebte Beschäftigungsquote von 78% stellt eine Steigerung um 3 Prozentpunkte gegenüber dem Ziel der Europa-2020-Strategie von 75% dar. Das Ziel für 2020 wurde im Jahr 2019 mit 73,1% – dem höchsten Stand der EU-27 seit 2005 – fast erreicht, bevor die Beschäftigungsquote in Folge der Corona-Pandemie wieder sank. Im dritten Quartal 2020 lag die Beschäftigungsquote in der EU bei 78,3 Prozent der Männer und 66,6% der Frauen. Die Beschäftigungslücke zwischen Männern und Frauen soll, so die KOM, bis 2030 um mindestens die Hälfte verringert werden. Der Zugang zu frühkindlicher Bildung und Betreuung soll verbessert und der Anteil der NEETs (not in employment, education or training) unter den jungen Menschen (15-29 Jahre) von 12,6% (2019) auf 9% verringert werden. Am Arbeitsmarkt unterrepräsentierte (also zumeist diskriminierte) Personengruppen wie Ältere, Geringqualifizierte, Roma, Menschen aus ländlichen Regionen, LGBTIQ und Menschen mit Behinderung sollen ebenfalls besser in den Arbeitsmarkt eingebunden werden.
2. Mindestens 60 % aller Erwachsenen sollten jedes Jahr an Fortbildungen teilnehmen.
Weiterbildung ist für die KOM ein wesentlicher Faktor bei der Beschäftigungsförderung. Im Jahr 2016 nahmen 37% der Erwachsenen an Bildungsmaßnahmen teil. Besonders problematisch ist, dass der Anteil unter den Geringqualifizierten mit 18% noch deutlich geringer ist. Einen Schwerpunkt soll die digitale Bildung bilden. Die KOM ruft in diesem Zusammenhang das Ziel aus, dass bis 2030 mindestens 80% der 16- bis 74-jährigen über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen sollten. Eine weitere Verringerung der Zahl der Schulabbrecher:innen wird ebenfalls angestrebt.
3. Die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen sollte um mindestens 15 Millionen verringert werden.
Im Jahr 2019 waren 91 Mio. Menschen in der EU-27 von Armut betroffenen oder bedroht, davon 17,9 Mio. Kinder. Damit wurde die Zahl im Vergleich zu 2012 um 17 Mio. reduziert, und damit das EU-2020-Ziel von einer Reduzierung um 20 Mio. verfehlt. Durch die Corona-Krise wird sich die Armut zunächst weiter verschärfen. Von den 15 Mio. Personen, denen bis 2030 aus Armut und sozialer Exklusion geholfen werden soll, sollen mindestens 5 Mio. Kinder sein.
Die Kommission wünscht sich vom Rat, dass er sich diese drei Ziele zu eigen macht. Die Mitgliedstaaten werden aufgerufen, jeweils nationale Ziele zu definieren. Ihren eigenen Beitrag zur Umsetzung der Säule sieht die Kommission in den bereits im Arbeitsprogramm angekündigten Maßnahmen (u.a. Garantie gegen Kinderarmut, Rechtsakt zu Arbeitsbedingungen für Plattformbeschäftigte) sowie in der Überwachung der Fortschritte im Rahmen des Europäischen Semesters.
Empfehlung zur Beschäftigungsförderung (EASE)
Als konkrete Maßnahme zur Beschäftigungsförderung stellte die Kommission zeitgleich mit dem Aktionsplan eine Empfehlung zu einer wirksamen aktiven Beschäftigungsförderung nach der COVID-19-Krise (effective active support to employment, EASE) vor. Mit dieser Empfehlung will die Kommission den Mitgliedstaaten konkrete Orientierungshilfe zu politischen Maßnahmen bieten für den schrittweisen Übergang von krisenbedingten Notmaßnahmen hin zu neuen Maßnahmen, die für eine beschäftigungsintensive Erholung nötig sind. Diese neuen Maßnahmen sollten drei Elemente umfassen:
- Einstellungsanreize und Unterstützung des Unternehmertums;
- Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten;
- verbesserte Unterstützung durch Arbeitsvermittlungsdienste.
Für die Finanzierung ihrer EASE-Maßnahmen sollen die Mitgliedstaaten auch EU-Mittel in Anspruch nehmen, unter anderem aus der Aufbau- und Resilienzfazilität und dem ESF+.
Weitere Informationen: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_820