„Europa hat die Wahl“ – Politische Leitlinien für die nächste Europäische Kommission 2024-2029
Am 18.07.2024 wurde Ursula von der Leyen vom Europäischen Parlament mit einer Mehrheit von 401 der möglichen 720 Stimmen für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. Zuvor hatte sie ihre politischen Leitlinien als Kandidatin veröffentlicht, welche im Folgenden kurz dargestellt werden:
Wettbewerbsfähigkeit
Um die Wettbewerbsfähigkeit Europas sowie der damit verbundenen Widerstandsfähigkeit zu stärken, müsse die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes in Bereichen wie Energie, Verteidigung, Finanzen und Digitales vorangetrieben werden.
Vor allem das Wachstum innovativer Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) soll gefördert werden.
Hinsichtlich des bereits 2019 beschlossenen European Green Deals wird die Notwendigkeit der Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens bis 2030 betont, aber zugleich ein Clean Deal für die Industrie gefordert, um eine wettbewerbsfähige Industrie und hochwertige Arbeitsplätze zu gewährleisten. Durch eine wachsende Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen sowie das Schaffen der Voraussetzungen für eine echte Energieunion soll die Senkung der Energiekosten für Unternehmen sowie Haushalte erzielt werden. Technologieneutrale Investitionen in sowohl erneuerbare als auch CO2-arme Energie würden dabei priorisiert.
Wettbewerbsfähigkeit soll auch durch eine stärker kreislauforientierte und widerstandsfähigere Wirtschaft erzielt werden, was den Aufbau eines Binnenmarktes für Abfälle inkludiert. Außerdem sollen insbesondere im Gesundheitssektor die Abhängigkeiten bei kritischen Arzneimitteln sowie Inhaltsstoffen reduziert werden und damit widerstandsfähigere Gesundheitssysteme geschaffen werden.
Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit soll ein echter digitaler Binnenmarkt aufgebaut werden, in dem die Digitalisierung vorangetrieben und zukunftsorientiert investiert wird, ohne dass dafür der Datenschutz geopfert wird. Allgemein müsse mit Blick auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Forschung und Innovation im Zentrum der Wirtschaft stehen sowie eine stärkere Verknüpfung hergestellt werden.
In Anbetracht des Fachkräftemangels soll eine Union der Kompetenzen geschaffen werden. Die Schwerpunkte bilden dabei lebenslanges Lernen, Verbesserung der Grundkompetenzen und insbesondere der Bildung in MINT-Fächern sowie ein höherer Stellenwert der beruflichen Aus- und Weiterbildung.
Verteidigung und Sicherheit
Von der Leyen betont deutlich den engen Zusammenhang zwischen der europäischen Sicherheit und der Sicherheit sowie dem Wiederaufbau der Ukraine. Daher müsse der Beistand Europas so lange weitergehen, wie es nötig ist. Die neue Kommission werde eine echte Europäische Verteidigungsunion aufbauen, um sowohl die industrielle Basis, Innovation und den Binnenmarkt für Verteidigungsgüter sowie -dienstleistungen zu stärken als auch diese Vorhaben besser zu koordinieren. Dazu soll zudem ein Kommissionsmitglied für Verteidigung ernannt werden. In enger Abstimmung mit der NATO werde die neue Kommission Vorhaben von gemeinsamen europäischen Interesse (unter anderem bezüglich Cyberabwehr) vorschlagen. Im Bereich der inneren Sicherheit liegt der Fokus neben dem Drogenhandel und der Terrorismusbekämpfung auf kriminellen Netzwerken mit hohem Bedrohungspotenzial, denen mit modernisierten nationalen Strafverfolgungsbehörden und einer ausgebauten, schlagkräftigen Europol-Behörde begegnet werden soll.
Während der Schengen-Raum vervollständigt werden soll, wird zugleich ein stärkerer Schutz der Außengrenzen ins Auge gefasst, um irreguläre Grenzübertritte zu verhindern, so dass die zeitweilig bestehenden Kontrollen an den Binnengrenzen wieder entfallen können.
Migration
Neben der Umsetzung aller Teile des im April 2024 verabschiedeten Migrations- und Asylpaketes soll eine zukunftsorientierte Strategie entwickelt werden, welche die Bekämpfung irregulärer Migration unter Wahrung der Menschenrechte, das Vorgehen gegen Schleuserkriminalität und einen neuen gemeinsamen Ansatz für Rückführungen beinhaltet. Zudem sei ein neuer Pakt für den Mittelmeerraum geplant, um bestehende strategische Partnerschaften zu vertiefen sowie neue Partnerschaften mit klaren Verantwortlichkeiten und Pflichten einzugehen. Im Rahmen dieser gesamten Strategie will die Kommission die Mitgliedstaaten und Unternehmen bei der Schaffung legaler Migrationswege abhängig vom jeweiligen Fachkräftebedarf unterstützen.
Soziales
Insbesondere hinsichtlich neuer Arbeitsformen ist ein neuer Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Säule Sozialer Rechte geplant. Die Priorisierung des gerechten Übergangs für alle werde sich in einer erheblichen Aufstockung der Mittel im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) niederschlagen. Zudem sollen alle Bürger:innen durch eine gestärkte Kohäsions- und Wachstumspolitik ein wirksames Recht haben, an ihrem Heimatort zu bleiben.
In Reaktion auf die Wohnungskrise werde von der Leyen ein unter anderem für Wohnraum zuständiges Kommissionsmitglied ernennen und die neue Kommission einen ersten europäischen Plan für erschwinglichen Wohnraum vorlegen.
Junge Menschen sollen mehr in die Gesellschaft und in demokratische Prozesse eingebunden sowie Erasmus+ auch in der beruflichen Bildung gestärkt werden. Mit Blick auf den Schutz der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen soll gegen suchterzeugende Gestaltungsmerkmale von Online-Diensten und gegen Cybermobbing vorgegangen werden. Insbesondere angesichts der Gewalt gegen Frauen müsse das tägliche Bemühen für die Gleichstellung der Geschlechter weiter verstärkt werden.
Landwirtschaft, Klima und Umwelt
Von der Leyen sieht den Aufbau eines wettbewerbs- sowie widerstandsfähigen Agrar- und Lebensmittelsystems als elementar für die Ernährungssicherheit. Dafür sei wesentlich, dass die Landwirt:innen über ein gerechtes und ausreichendes Einkommen verfügen. Künftig müsse eine zielorientierte Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) den Verwaltungsaufwand reduzieren, Familienbetriebe unterstützen, ökologische Landwirtschaft belohnen und die biologische Vielfalt sowie natürliche Ökosysteme erhalten. Durch einen europäischen Ozeanpakt soll zudem eine nachhaltige blaue Wirtschaft gefördert werden.
Das Emissionsreduktionsziel von 90 % bis 2040 müsse im Europäischen Klimagesetz verankert werden und die Europäische Union bei internationalen Klimaverhandlungen führend bleiben. Insbesondere soll grüne Diplomatie intensiviert und neue Partnerschaften für sauberen Handel sowie Investitionen etabliert werden.
Angesichts der Auswirkungen des Klimawandels in Form von extremen Wetterereignissen plant von der Leyen, auf einen europäischen Zivilschutzmechanismus hinzuarbeiten. Die Mitgliedstaaten müssten zudem bei der Stärkung von Klimaresilienz und -vorsorge unterstützt werden. Der Schutz unserer Natur sei unverzichtbar für die Klimaregulierung und die Gewährleistung einer sicheren Versorgung mit Lebensmitteln sowie Wasser.
Schutz der Demokratie
Der Verbreitung von Desinformation und der ausländischen Einflussnahme soll mit einem Europäischen Schutzschild für die Demokratie begegnet werden. Durch Stärkung der digitalen Kompetenzen sowie der Medienkompetenz könne die Resilienz der Gesellschaft gesteigert werden. Außerdem betont von der Leyen die Achtung der Rechtsstaatlichkeit als unabdingbare Voraussetzung für EU-Mittel und die Medienfreiheit als einen ihrer zentralen Pfeiler. Im Zuge dessen müsse gegen entsprechende Verstöße weiterhin wirksam vorgegangen werden. Zuletzt sei eine Verankerung von Bürger:innenbeteiligung in der gesamten EU sowie eine intensivere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen erforderlich.
Gemeinsame Außenpolitik
Der Einsatz für die Freiheit der Ukraine habe weiterhin die oberste Priorität. Zudem soll eine aktive Rolle im Nahen Osten eingenommen werden, um den Weg für eine Zweistaatenlösung zu ebnen. Die Erweiterung der EU werde angestrebt, um ihr geopolitisches Gewicht sowie ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Abhängigkeiten zu verringern. Kandidatenländer seien bei ihren Vorbereitungen noch stärker zu unterstützen, wobei Rechtsstaatlichkeit und die Grundwerte der EU als Eckpfeiler der Erweiterungspolitik unabdingbar bleiben. Der stärker auf die Erweiterung ausgerichtete Ansatz soll zudem mit einem gezielteren Ansatz für die weitere Nachbarschaft der EU einhergehen. Dies betreffe insbesondere eine neue Agenda für den Mittelmeerraum und in dem Zuge die Ernennung eines Kommissionsmitgliedes für den Mittelmeerraum.
EU-Haushalt und Reformen
Von der Leyens Vorschlag für einen modernen und gestärkten MFR fordert eine gezieltere Ausrichtung auf gemeinsame Prioritäten, um dabei so flexibel wie möglich zu sein. Der nächste EU-Haushalt soll eine vereinfachte Struktur mit weniger Förderprogrammen und einem Plan für jedes Land aufweisen, in dem wichtige Reformen mit Investitionen verknüpft werden. Außerdem sei ein ehrgeiziges Reformprogramm erforderlich, um das Funktionieren einer größeren Union insbesondere angesichts geopolitischer Herausforderungen zu gewährleisten und um ihre demokratische Legitimität zu verbessern. Dafür würden auch Änderungen in den Verträgen benötigt und die neue Kommission werde Vorschläge unterbreiten, um die Handlungsfähigkeit der EU zu verbessern.
Autor:innen: Landesvertretung der Freien Hansestadt Bremen in Brüssel
Quellen: