Die portugiesische Ratspräsidentschaft – Ein Ausblick
Autor:innen: Martin à Nijeholt/ Dr. Martina Hilger
Portugal hat am 01. Januar 2021 von Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen.
Der Rat ist im Institutionengefüge der EU die Vertretung der Mitgliedstaaten und nimmt gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die Funktion des europäischen Gesetzgebers wahr. Der Vorsitz wechselt halbjährlich, nach Portugal wird in der zweiten Hälfte 2021 Slowenien übernehmen. Die Reihenfolge wird von den Mitgliedstaaten auf Jahre hinaus festgelegt. Der Rat tagt in zehn verschiedenen Formationen, die auf die jeweiligen Politikbereiche ausgerichtet sind (z.B. Auswärtige Angelegenheiten, Wirtschaft und Finanzen, Justiz und Inneres, Wettbewerbsfähigkeit usw.), und in denen die jeweiligen Fachminister:innen der Mitgliedstaaten vertreten sind. Daneben gibt es den Europäischen Rat, in dem die Regierungschef:innen der Europäischen Union (EU) zusammenkommen und die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten der EU festlegen.
Der Mitgliedstaat, der die Ratspräsidentschaft innehat, führt in allen diesen Ratsformationen den Vorsitz und kann in gewissem Maße damit auch die Agenda bestimmen.
Um ein höheres Maß an Kontinuität im Rat zu erreichen, hat sich informell das Instrument der sogenannten Triopräsidentschaft etabliert, d.h. drei Mitgliedstaaten, deren Präsidentschaften aufeinander folgen, koordinieren ihre Prioritäten in einem gemeinsamen, 18 Monate umfassenden Programm – derzeit somit Deutschland (Juli bis Dezember 2020), Portugal (Januar bis Juni 2021) und Slowenien (Juli bis Dezember 2021).
Als Schwerpunkte der laufenden Triopräsidentschaft waren ursprünglich der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR), die Digitalisierung, die Bekämpfung der Klimakrise und die Überprüfung der Beziehungen der EU zu China festgelegt. Aufgrund der Covid-19 Krise mussten im Vorfeld der Trioratspräsidentschaft die ursprünglichen Ziele um Maßnahmen der Krisenbewältigung ergänzt werden.
Deutschland hat somit während seiner Ratspräsidentschaft vom 01. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 die gemeinsame Politik der Staatengemeinschaft in erheblichem Maße verantwortet und geprägt. Im Zuge der Krisenbewältigungsmaßnahmen hat Deutschland u.a. die Aufrechterhaltung des Grenz- und Wirtschaftsverkehrs, die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung und die Beschaffung mehrerer Covid-19 Impfstoffe politisch begleitet. Mit der Verabschiedung des MFR wurde ein weiteres wichtiges Ergebnis erreicht. Ferner wurde mit den anderen Mitgliedstaaten eine Einigung in der Umweltpolitik gefunden: bis 2030 sollen 55% der CO2-Emissionen reduziert und bis 2050 soll Europa schließlich klimaneutral sein. Andere Themen der Trioratspräsidentschaft mussten aufgrund der Covid-19 Krise zurückgestellt werden. Insgesamt haben die europäischen Mitgliedstaaten die Ratspräsidentschaft positiv bewertet, sodass Deutschland auf sechs turbulente und produktive Monate zurückblicken und eine positive Bilanz über die erreichten Ergebnisse ziehen kann.
Portugal übernimmt den Ratsvorsitz der EU in einer schwierigen Phase: Einerseits ist Europa weiterhin wirtschaftlich und sozial von der Covid-19 Krise getroffen, andererseits stehen im Umgang mit der Klimakrise, der Digitalisierung und der Migration wichtige Einigungen an.
Die portugiesische Ratspräsidentschaft wird hierzu an die Arbeit der vorherigen Präsidentschaft anknüpfen und hat im Vorfeld angekündigt fünf konkrete Maßnahmenpakete zu bearbeiten:
- Widerstandsfähiges Europa: Die europäische Wirtschaftserholung, Kohäsion und die europäischen Werte sollen unter anderem durch die Implementierung des mehrjährigen Finanzrahmens, die Stärkung der europäischen Autonomie und die Aufnahme der Gespräche zum Migrationspaket gefördert werden.
- Grünes Europa: Die Führungsrolle der EU in der Umweltpolitik soll gestärkt werden, indem Kapazitäten zum Auffangen der Konsequenzen des Klimawandels aufgebaut und CO2-freie, stabile Wirtschaftsmodelle beworben werden. Diese und weitere Schritte beispielsweisezum Erhalt der Biodiversität sollen auch unter dem Schirm des Europäischen Grünen Deals fortgeführt werden.
- Digitales Europa: Die digitale Transformation im öffentlichen und privaten Sektor soll gefördert bzw. beschleunigt werden, indem diese als ein Hauptantreiber des ökonomischen Aufschwungs wahrgenommen wird. Daneben sollen beispielsweise auch Maßnahmen zum Ausbau der digitalen Bildung und der entsprechenden Infrastruktur einen Teil zur Stärkung des Digitalen beitragen.
- Soziales Europa: Das europäische Sozialmodell soll gestärkt werden, der Säule der sozialen Rechte soll im Leben der Bürger:innen eine konkrete Bedeutung gegeben werden und die Kooperation der Gesundheitssysteme Europas soll gefördert werden.
- Globales Europa: Die Weltoffenheit Europas soll mit einem klaren Bekenntnis zu Multilateralismus durch den Ausbau der Beziehungen zu anderen Staaten und der damit verbundenen Wahrnehmung der Rolle der EU als globaler Player gefördert werden.
Die Erwartungen an die portugiesische Ratspräsidentschaft sind groß. Es wird von vielen Seiten positiv wahrgenommen, dass insbesondere die Säule der Sozialen Rechte, die in Folge der Covid-19 Krise relevanter geworden ist, gestärkt werden soll. Portugal hat zudem bereits angekündigt, das Freihandelsabkommen Mercosur zwischen der EU und den südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Venezuela und Uruguay zum Abschluss bringen zu wollen. Auch der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Indien wird angestrebt. Außerdem soll der Dialog mit den USA ausgebaut werden, mit dem Ziel das volle Potential auszuschöpfen. Portugal kündigte zudem an, in der Klimapolitik erste Gesetzesvorschläge auszuarbeiten und zur Abstimmung zu bringen. Darüber hinaus ist die Migration ein großes Thema, zu dem z.B. Zypern Erwartungen formuliert hat. Der portugiesische Ministerpräsident Augusto Santos Silva äußerte sich dazu: „Wir brauchen eine europäische Migrationspolitik. Und die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft wird dazu beitragen, diese zu schaffen.“
Die Tätigkeiten der portugiesischen Ratspräsidentschaft werden als Balanceakt zwischen Vollendung noch offener Agendapunkte und langfristigen Visionen beschrieben. Insgesamt lässt sich sagen, dass Deutschland vieles eingeleitet hat, was nun unter portugiesischen Vorsitz im ersten Halbjahr 2021 weitergeführt und unter slowenischem Vorsitz im zweiten Halbjahr 2021 abgeschlossen werden sollte. Am 1. Januar 2022 geht die Ratspräsidentschaft dann an Frankreich über