Europa hat gewählt! – Ein Blick auf die Wahlergebnisse
Zwischen dem 6. und 9. Juni 2024 wurde in den 27 Mitgliedstaaten der EU das neue Europäische Parlament gewählt. Entgegen den Erwartungen fiel der prognostizierte Anstieg von extremen, antieuropäischen Parteien in der ganzen EU weniger stark aus als befürchtet. Dennoch haben besagte Parteien an Sitzen gewonnen. Das hat Auswirkungen auf das bisherige Kräfteverhältnis im Europäischen Parlament.
Die Ergebnisse der Europawahl aus europäische Perspektive:
Die vorläufigen Ergebnisse können hier eingesehen werden. Vergleicht man die Sitzverteilung der europäischen Fraktionen mit dem vorherigen Europäischen Parlament fällt sofort auf, dass europakritische Parteien an Sitzen dazugewonnen haben. So hat die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) – zu der auch Giorgia Melonis Fratelli d‘Italia gehört – zusätzliche 14 Sitze gewonnen. Die Fraktion Identität und Demokratie, zu der die rechte französische Partei Rassemblement National von Le Pen und die österreichische FPÖ zählt, hat 9 Sitze dazugewonnen. Zudem gibt es aktuell noch einen großen Teil an neuen Mitgliedern, die bislang keiner Fraktion des scheidenden Parlaments angehören (45 Sitze). Auch die deutsche AfD ist zum Beispiel aktuell noch keiner Fraktion zugehörig. In den kommenden Wochen wird also noch einiges geschehen, was die Fraktionszusammensetzung im neuen Parlament angeht. Der erwartete Rechtsruck ist dennoch insgesamt nicht so stark gewesen, wie zuvor prognostiziert. Um hier die aktuelle Präsidentin des Europäischen Parlaments, die Malteserin Roberta Metsola, zu zitieren: „Die wichtigste Erkenntnis ist [aber], dass die konstruktive pro-europäische Mitte erhalten bleibt“.
Eine deutliche positive Entwicklung konnte in der Wahlbeteiligung in ganz Europa beobachtet werden. So gab es bei den Europawahlen 2024 die höchste Wahlbeteiligung seit über 30 Jahren. Der Durchschnittswert für die gesamte EU liegt bei circa 51 Prozent. Zudem ist in mehr als der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten (14) auch die Wahlbeteiligung gegenüber 2019 gestiegen. In Deutschland lag die Wahlbeteiligung bei circa 65 Prozent und ist damit die höchste seit der Wiedervereinigung.
Das Wahlverhalten in Deutschland:
Aber wie wurde in Deutschland gewählt? Deutschland hat als bevölkerungsstärkstes EU-Land mit 96 Sitzen die höchste Anzahl von Mandaten im Europäischen Parlament.
Flächendeckend wurde in Deutschland die CDU/ CSU stärkste Kraft. Die AfD wurde mit knapp 16 Prozent zweitstärkste Kraft, dicht gefolgt von der SPD mit knapp 14 Prozent und den Grünen mit knapp 12 Prozent. Alle übrigen Parteien lagen in Deutschland im einstelligen Bereich. Wie sich die deutschen Parteien derzeit im europäischen Parteienspektrum einordnen, kann hier nachvollzogen werden (siehe zweite Grafik). Welcher europäischen Fraktion sich die neue Partei Bündnis Sahra Wagenknecht zuordnen wird, steht noch nicht fest. Auch die Möglichkeit einer ganz neuen Fraktion mit besagter Partei ist bislang noch nicht auszuschließen.
Ausschlaggebend für die Wahlentscheidung in Deutschland waren laut dem Umfrageinstitut infratest dimap die Themen Friedenssicherung (26 Prozent) und die soziale Sicherheit (23 Prozent), aber auch das Thema Zuwanderung (17 Prozent) spielte eine größere Rolle im Vergleich zur Europawahl 2019. Der Klimawandel war noch im Jahr 2019 das prioritäre Thema für die Wahlentscheidung der deutschen Bevölkerung, hat aber in diesem Jahr 9 Prozent verloren und liegt damit lediglich auf Platz vier mit 14 Prozent.
Durch die Absenkung des Wahlalters durften in Deutschland dieses Mal junge Menschen ab 16 Jahren wählen. Noch sind keine genauen Zahlen zum Wahlverhalten der Erstwähler:innen bekannt. Auffällig ist aber der deutliche Anstieg der AfD von 11 Prozent und der starke Verlust der Grünen von minus 23 Prozent in der Altersgruppe der 16 bis 24-Jährigen. Es wäre allerdings falsch zu behaupten, dass vor allem die jungen Menschen in Deutschland antieuropäisch gewählt haben, denn die AfD hat den stärksten Rückhalt bei Wähler:innen zwischen 35 und 44 Jahren. Ebenfalls spannend ist die Tatsache, dass gerade von den jungen Menschen mit 28 Prozent kleine Parteien wie z.B. Volt gewählt wurden, die (noch) nicht im deutschen Bundestag vertreten sind, weil es im Europäischen Parlament keine Sperrklausel gibt. Damit wurde in der jüngsten Altersgruppe am heterogensten gewählt.
Die Ergebnisse der Europawahl aus Bremer Perspektive:
Auch für unser Bundesland Bremen gibt es bereits statistische Auswertungen zu den Wahlergebnissen und dem Wahlverhalten. Diese sind auf der Seite des Landeswahlleiters genauer dargestellt. Bremen ist das einzige Land Deutschlands, in dem die SPD – trotz Verlusten – stärkste Kraft geworden ist. Die AfD gewann lediglich drei Wahlbezirke (2 in Bremerhaven, 1 in Stadt Bremen). Deutlich über dem Bundesdurchschnitt lag die proeuropäische Partei Volt (4,7 Prozent in Bremen/ 2,6 Prozent in Deutschland). Die Grünen sind vor allem in Bremen Mitte am stärksten vertreten.
Die Wahlbeteiligung im Bundesland Bremen lag bei 57 Prozent und damit unter dem Bundesdurchschnitt, und auch unter der Wahlbeteiligung bei der letzten EP-Wahl im Jahr 2019 (63%). Allerdings sollte die Wahlbeteiligung in Bremen nicht (nur) mit der letzten Wahl 2019, bei der zeitgleich auch die Bremische Bürgerschaft gewählt wurde, verglichen werden. Im Jahr 2014 lag die Wahlbeteiligung für das Europäische Parlament im Land Bremen nämlich lediglich bei 41,5 Prozent. Das macht einen enormen Unterschied von 15,5 Prozent zu den diesjährigen Ergebnissen, was für die Debatte um die vergleichbar „schlechte“ Wahlbeteiligung im Land Bremen nicht unwichtig ist. Ebenfalls hinzuweisen ist auf die extremen Unterschiede in der Wahlbeteiligung in den verschiedenen Ortsteilen Bremens. So haben in Stadtteilen wie Schwachhausen und Bürgerpark fast 80 Prozent der Wahlberechtigten auch wirklich ihre Stimme abgegeben. In anderen Stadtteilen wie Tenever oder Gröpelingen lag die Wahlbeteiligung gerade mal um die 35 Prozent.
Die Neuformierung des Europäischen Parlaments:
In den kommenden Tagen wird sich das Europäische Parlament neuformieren. Denkbar sind einige Änderungen in der Zusammensetzung oder auch der Ausrichtung der Fraktionen. Die Verhandlungen dazu können bis zur ersten konstituierenden Plenarsitzung am 16. Juli andauern, ab dann beginnt auch offiziell die neue Legislaturperiode. Vom 16. bis 19. Juli tagen die neu gewählten Abgeordneten im Parlament in Straßburg und wählen eine:n neue:n Parlamentspräsidente/in. Abgestimmt wird auch über die zahlenmäßige und personelle Zusammensetzung der ständigen Ausschüsse, die ihre Arbeit nach dieser ersten Sitzung beginnen.
Wer wird Kommissionspräsident:in?
Mindestens ebenso wichtig ist aber die Frage, wer Kommissionspräsident:in wird und wie sich die Europäische Kommission als Gremium zusammensetzt. Grundsätzlich läuft das Verfahren in Phasen ab: Zunächst müssen die Staats- und Regierungschefs einen Vorschlag für eine:n Kandidat:in machen, der dann auch eine qualifizierte Mehrheit der Staats- und Regierungschefs auf sich vereinen muss.
Die aktuelle Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will auch weiterhin in ihrem Amt bleiben. Sie ist der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) zugeordnet. Um weiter im Amt zu bleiben benötigt sie zunächst die qualifizierte Mehrheit – also mindestens 15 von 27 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent oder mehr der EU-Bevölkerung vertreten. Dies ist ihr beim ersten EU-Gipfel gelungen, dort wurde sie von den Staats- und Regierungschef:innen erneut als Kandidatin vorgeschlagen. Als nächstes muss nun das Europäische Parlament diesem Vorschlag zustimmen. Hier braucht es dann die absolute Mehrheit.
Erst wenn die Europäische Kommission eine:n neue:n Präsident:in hat, kann sich die Kommission bilden. Hierfür nominiert jeder Mitgliedsstaat eine:n Kommissar:in, woraufhin der Rat im Einvernehmen mit der oder dem Kommissionspräsident:in die Liste der künftigen Kommissionsmitglieder annimmt. Das Europäische Parlament führt Anhörungen der designierten Kommissar:innen durch und prüft unter anderem ihre Eignung für die Funktionen, die sie übernehmen sollen. Im Ergebnis kann das Europäische Parlament aber die Kommission nur als Gremium bestätigen oder ablehnen.
© Referat für Europapolitische Angelegenheiten der Senatskanzlei Bremen